Standards wissenschaftlichen Arbeitens

Zu (wissenschaftlicher) Literatur und der Zitierfähigkeit unterschiedlicher Quellen


 

Das Schreiben einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit ist immer eine große Herausforderung – ein (Lern-)Prozess, für den ausreichend Zeit eingeplant werden sollte, vom Sichten der aktuellen Forschungsliteratur über erneutes Lesen und Überarbeiten der eigenen Ausführungen, vom professionellen Lektorat über das Einarbeiten unserer Überarbeitungsvorschläge bis zum persönlichen letzten Schliff. 

Ein Schwerpunkt dieses Prozesses ist die wissenschaftliche Literatur – das Fundament, auf das sich für die eigenen Ausführungen gestützt wird. Renommierte Forscher*innen entwickeln Hypothesen und Theorien, Studien liefern empirische Daten, und mithilfe von Meta-Analysen können eigene Schlüsse gezogen werden. Schlussendlich argumentieren die Studierenden sodann auf Basis unterschiedlicher Quellen für die zu Anfang aufgestellte Hypothese und beantworten dabei ihre Forschungsfrage. Ihre eigene Argumentation sollten sie hinreichend und eindeutig mit wissenschaftlicher Literatur belegen, denn nur sie ist zitierfähig für das Forschungsvorhaben der wissenschaftlichen Abschlussarbeit. ,Zitierfähig‘ im hiesigen Kontext bedeutet schlicht, dass ein Werk den gängigen Anforderungen an wissenschaftliches Arbeiten entspricht, d. h., dass handwerklich sauber und nach bestem Gewissen gearbeitet wurde, dass also eine Quelle seriös recherchiert und damit zuverlässig und vertrauenswürdig ist.

 

Wie erkenne ich geeignete und zitierfähige Literatur?

Zunächst ist es essenziell, akademische Literatur eindeutig identifizieren zu können. Sie findet sich in fachspezifischen und interdisziplinären Sammelwerken, Monographien¹ und wissenschaftlichen Zeitschriften (bzw. Journals, übernommen aus dem englischen Sprachgebrauch), aber vermehrt auch im Internet auf verschiedensten einschlägigen Plattformen. Solche können Datenbanken, Archive, Verlage oder Anbieter akademischer Literatur sein,² Blogs zu bestimmten Forschungsbereichen und Themengebieten³ oder von einzelnen Wissenschaftler*innen.⁴ Außerdem sind internationale politische Organisationen ebenso wie nationale staatlich geförderte Plattformen⁵, oder aber NGOs wie gemeinnützige Vereine und Denkfabriken nützliche Anlaufpunkte, vor allem um Literatur zu aktuellen Themen zu finden (vergeht doch häufig über ein Jahr Zeit, bis ein Artikel den Peer-Review-Prozess eines Journals durchlaufen hat und veröffentlicht werden kann). 

 

Jedoch ist hier bereits Vorsicht geboten, denn jede*r kann einen vermeintlich gemeinnützigen Verein⁶ gründen und diesen nutzen, um eine bestimmte Agenda zu propagieren – wie das Europäische Institut für Klima und Energie (EIKE e.V.), dessen Zweck darin besteht, den (menschengemachten) Klimawandel infrage zu stellen. Beim Bildungswerk für Heimat und nationale Identität lässt bereits der Name ahnen, welche politische/ideologische Geisteshaltung zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich nicht nur um einen Verein, sondern zugleich um eine parteinahe Stiftung, die aus Steuermitteln mitfinanziert wird. 

 

Vollkommene Neutralität ist also ein Mythos. Unsere persönlichen Überzeugungen bringen wir immer mit, auch wenn wir versuchen, eine neutrale Haltung einzunehmen. Das ist ganz natürlich, unvermeidbar und gilt dementsprechend für oben genannte Institutionen – ein Umstand, den wir uns immer wieder ins Bewusstsein rufen sollten, ebenso wie die Tatsache, dass wir ständig irgendwie beeinflusst werden, sei es durch Marketing oder eine politische Ideologie. Wenn wir das beherzigen, erscheint auch der häufig als Totschlagargument genutzte Vorwurf, eine bestimmte Agenda zu verfolgen, weniger einschüchternd – ist doch heutzutage nichts (mehr) unpolitisch, (und) war es niemals. Eine bestimmte Haltung einzunehmen ist menschlich, und wer behauptet, absolute Objektivität sei möglich, unterliegt einem Irrglauben. 

 

Um einem wissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden, müssen Texte grundsätzlich folgende Kriterien erfüllen.:

Neutralität und Objektivität

Wissenschaftliche Texte sollten möglichst neutral und objektiv sein – möglichst, da, wie zuvor erwähnt, vollkommene Objektivität nicht existiert, unsere menschliche Perspektive stets limitiert ist und Forscher*innen notwendigerweise mit einer individuellen Erwartungshaltung an ein Projekt gehen.

 


Systematik und Struktur, Präzision und Konsistenz

Der Aufbau eines wissenschaftlichen Textes oder auch Experiments sollte einer klaren Struktur folgen, die zu Anfang beschrieben wird. Die verwendete Sprache sollte präzise sein; Fachbegriffe sollten klar definiert und überdies einheitlich und konsequent verwendet werden. 

 


Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit

Die Methodik des Vorgehens sollte transparent gemacht und nachvollziehbar beschrieben werden, um für Experimente und Studien Reproduzierbarkeit zu garantieren. Nur wenn ein Experiment repliziert werden kann, d. h., wenn es nochmals unter gleichen Bedingungen durchgeführt werden und ähnliche Ergebnisse erzielen kann, können die gezogenen Schlüsse als valide gelten.

 


Aktualität und Relevanz

Wer zu einem bestimmten Thema forscht und schreibt, muss auch immer den aktuellen Forschungsstand verfolgen – genauso findet man letztlich auch das Thema für die eigene Abschlussarbeit. Eine behandelte Fragestellung sollte für den Forschungsbereich relevant sein und ggf. vorhandene Forschungslücken schließen. In einem Literaturüberblick sind immer auch jüngste Veröffentlichungen zu berücksichtigen. 

 


Integrität und Sorgfaltspflicht

Das Konsultieren verschiedener fachlicher Quellen ist das essenzielle und basale Vorgehen, um sich in ein Themenfeld einzuarbeiten. Was an Informationen aus den Werken anderer entnommen wird – sei es in Form von Paraphrasen oder wörtlichen Zitaten – muss stets kenntlich gemacht werden. Dies gehört zum Standard-Handwerk wissenschaftlichen Arbeitens. Damit wird nicht nur die Sorgfaltspflicht erfüllt, sondern auch die eigene Integrität als Forscher*in gewahrt.


 

Wer diese Kriterien kennt und Texte auf deren Erfüllung (hin) prüfen kann, hat schon einiges gewonnen. Denn heutzutage, auch aufgrund der Allgegenwart der Internets, begegnen uns regelmäßig Beiträge, die sich einen wissenschaftlichen oder objektiven Anstrich geben, jedoch eine bestimmte Agenda verfolgen – seien es Geschäftsinteressen⁷ (jemand will uns etwas verkaufen) oder eine politische Ideologie⁸ (jemand will uns von etwas überzeugen). Daher sind eine gewisse Skepsis und eine grundsätzlich kritische Haltung vonnöten: Wir sollten stets kritisch denken und die Motive eines Gegenübers hinterfragen. 

 

Zwar genießen Akademiker*innen in der Regel einen gewissen Vertrauensvorschuss. Jedoch ist es in der Geschichte der Wissenschaft immer wieder vorgekommen (und tut es heute noch), dass (vermeintliche) Expert*innen eine öffentliche Debatte in eine bestimmte Richtung beeinflusst haben,⁹ bzw. dass Wissenschaftler*innen ihre Einschätzungen abgeben zu Themen, die außerhalb ihres Forschungsbereiches liegen.¹⁰

 

Heute scheint es normal zu sein, dass Wissenschaftler*innen auf der Internetpräsenz eines Unternehmen veröffentlichen, dass Unternehmen wiederum (eigene) Studien durchführen, und dass Hochschulen Fördergelder von Konzernen annehmen¹¹ –insofern kann auch die Institution Universität nicht mehr als unabhängig gelten. In Teilen prekäre Arbeitsbedingungen und ein hoher Wettbewerbsdruck im akademischen Betrieb haben außerdem einem regelrechten Boom pseudo-wissenschaftlicher (Fake-)Journals und Tagungen Vorschub geleistet.¹² 

 

Die Vermittlung und Kommunikation von und über Wissenschaft(en) kann hochsensibel sein und wird in immer stärker polarisierenden Debatten zunehmend problematisch. Beispiele hierfür gibt es viele, von den häufig immer noch missverstandenen Konzepten des biologischen und sozialen Geschlechts, über relativ neu auftretende oder neu entdeckte Krankheitserscheinungen wie Long Covid oder Endometriose und die vielen verschiedenen Aspekte des Klimawandels, bis hin zu Homöopathie und der Gleichstellung der Geschlechter, also inklusive den Menschenrechten von trans und nicht-binären Menschen. 

 

 

Woher kann ich nun aber wissen, welche Literatur ich benutzen darf?

Generell ist Umsicht geboten: Akademische Autor*innen veröffentlichen heutzutage mehr und mehr populärwissenschaftliche Literatur – also Werke, die sich an ein breiteres, nicht notwendigerweise akademisch gebildetes Publikum richten und in zugänglicher Sprache komplexe Sachverhalte vermitteln wollen. Ob bzw. wofür diese zitierfähig sind, hängt von den eigenen Ansprüchen, den Vorgaben Ihres Instituts und vom Kontext ab. Yuval Noah Hararis unterhaltsame [Eine] kurze Geschichte der Menschheit bspw. könnte für einen historischen Umstand in einer fachfremden Arbeit zitierwürdig sein, in der Geschichtswissenschaft hingegen würde eher ein einschlägiges Fachlexikon erwartet. Ebenso sollte, wollen Studierende etwa die Etymologie eines Begriffs diskutieren, ein etymologisches Wörterbuch heranzogen werden.

 

Außerdem kommt es darauf an, ob bzw. wie gut die Werke recherchiert und wiederum mit seriöser Literatur belegt sind. Auch Autor*innen, die nicht (unbedingt) akademisch ausgebildet sein müssen, können Werke veröffentlichen, die wissenschaftlichen Standards entsprechen. Dann wiederum garantiert eine akademische Ausbildung für sich allein nicht, dass diejenige Person auch konstant ernstzunehmende wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht.¹³ Gerade bei öffentlichen Figuren (die ja auch vom Verkauf ihrer Werke leben)¹⁴ sind eine gewisse Vorsicht und Skepsis angebracht – siehe etwa auch fachfremde (also nicht epidemiologisch ausgebildete) Mediziner*innen, die im Rahmen der Covid19-Pandemie mit unseriösen Beiträgen zur wissenschaftlichen Debatte negativ aufgefallen (oder sogar in Verschwörungsideologien abgerutscht) sind. Meistens ist die Realität komplexer als wir es wahrhaben wollen oder auch nur verstehen können.

 

In einer wissenschaftlichen Arbeit eignen sich also journalistische Beiträge oder auch Studien, die von Unternehmen durchgeführt wurden, nicht unbedingt, um Ihre eigene wissenschaftliche Argumentation zu untermauern – was andersherum nicht bedeutet, dass jede von einem Unternehmen durchgeführte Studie als unseriös bewertet werden muss. 

 

Es kann natürlich, je nach Kontext, dennoch angemessen und nötig sein, Quellen verschiedenster Herkunft anzuführen – wenn sie entsprechend kritisch eingeordnet werden (d. h., wenn etwa in einer Fußnote kommentiert wird, dass man sich bewusst ist, dass die Quelle keine genuin wissenschaftliche und daher nur eingeschränkt geeignet ist, um die Argumentation zu untermauern). Wenn etwa ein populistischer Zeitungsartikel kritisch analysiert wird, wird dieser selbstverständlich als Quelle angegeben; durch die kritische Analyse leisten Studierende die wissenschaftliche Arbeit der kritischen Einordnung. Im Zweifelsfall sollte sich idealerweise frühzeitig mit der Betreuung abgesprochen werden, welche Werke für welche Aussagen genutzt bzw. wie zitiert werden können. 

 

Quintessenz: Studierende sollten stets kritisch gegenüber jeder Quelle sein. Meistens sollen wir von einer Argumentation überzeugt werden. Die Grenzen nicht nur zwischen Journalismus und Wissenschaft, aber auch innerhalb der Wissenschaft zwischen gutem und schlechtem wissenschaftlichen Handwerk können fließend sein. Wissenschaftliche Arbeiten können und müssen jedoch immer wieder von Neuem kritischer Betrachtung unterzogen und ggf. aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse neu bewertet werden. 

 

Es gilt immer, zu differenzieren und ganz genau hinzuschauen. Die Fähigkeit, tendenziöse Berichterstattung und schlechte handwerkliche Arbeit zu erkennen, ist in der heutigen Omnipräsenz des Internets, manipulativer ‚Fake News‘ und zunehmend besser werdender KI-Täuschungen eine Kernkompetenz im Umgang mit Medien (jedweder Art), die Studierende auch durch ihren Umgang mit Literatur verschiedenster Art erlernen und einüben. 

 

¹Hierbei handelt es sich um Darstellungen zu einem spezifischen Thema oder Themenbereich, wobei Monographien in der Regel von einem oder einer einzelnen Verfasser*in verfasst sind, während Sammelwerke Beiträge bzw. Kapitel von verschiedenen Autor*innen enthalten. Häufig sind dies dann Herausgeberschaften, kuratiert von Wissenschaftler*innen mit einschlägiger Spezialisierung in einem bestimmten, enger abgesteckten Themenbereich. Solche Sammelwerke beleuchten häufig Entwicklungen in und Impulse für verschiedene Richtungen des Feldes.

²Siehe etwa https://www.researchgate.net oder https://www.jstor.org. Hier muss Zugang käuflich erworben werden, wenn kein Zugang über die Universität gewährt wird. 

³Siehe etwa https://michel-foucault.com über das Werk von Michel Foucault.

⁴Siehe etwa https://feministkilljoys.com von Sara Ahmed.

⁵Siehe etwa https://www.bpb.de und https://www.bzga.de.

⁶So ist etwa in Deutschland rechtlich nicht eindeutig geklärt, wie genau gemeinnützige Zwecke definiert werden, siehe ARD / SWR / Hoh (2024).

⁷Marketing ist omnipräsent und versteckt sich mittlerweile häufig auch zwischen legitimen Artikeln auf den Webpräsenzen von überregionalen Nachrichten, dann irgendwo (sehr klein geschrieben) gekennzeichnet als „Redaktionsbeitrag“ oder „Verlagsangebot“, siehe etwa… (REF ZAPP?). 

⁸Siehe etwa das relativ junge, rechtspopulistische Nachrichtenportal ,Nius‘.

⁹ARTE France & ZED (2020).

¹⁰SZ (2019), Quarks Science Cops (2020).

¹¹Dlf Kultur / Sven Kästner (2020).

¹²Quarks / ARD (2018).

¹³SZ (2019), ARTE France / ZED (2020), Quarks Science Cops (2020).

¹⁴SZ / Dahlgrün (2010).

 


 

Transparenzhinweis:

Wir haben uns beim Schreiben dieses Artikels nicht nur der standardmäßigen Suchmaschinen-Recherche, sondern auch der OpenAI-Software ChatGPT bedient, etwa, um unsere Punkte auf Vollständigkeit zu prüfen und unsere Ideen zu ergänzen. 

Im Sinne eines aufgeklärten Umgangs mit dieser nahezu jeder und jedem zugänglichen Technologie wäre es rückschrittlich, sowohl ihre Nutzung zu leugnen als auch sie zu unterlassen. Es ist interessant und bereichernd, wie wir KI als Instrument zu unserem Vorteil nutzen können – vorausgesetzt, diese Nutzung erfolgt innerhalb eines ethischen und moralischen Konsens. Da KI schon längst überall verbreitet ist, sollten wir besser früher als später einen angemessenen Umgang festlegen und einüben.

 

 

Quellen:

ARD / SWR / Daniel Hoh (2024). [Gemeinnützige Vereine] Steuervorteile für Heiler, Hetzer und Extremisten → https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/gemeinnuetzigkeit-vereine-steuervorteile-extremisten-100.html.

ARTE France / ZED (2020). La Fabrique de l’Ignorance •  Forschung, Fake und Faule Tricks 
→ https://www.youtube.com/watch?v=C_GtkQFO8Js.

Deutschlandfunk (Dlf) Kultur / Sven Kästner (2020). Wie die Wirtschaft die Wissenschaft beeinflusst → https://www.deutschlandfunkkultur.de/forschungsfinanzierung-wie-die-wirtschaft-die-wissenschaft-100.html.

Quarks / ARD (2018). Betrug statt Wissenschaft – Wenn Forscher schummeln 
→ https://www.youtube.com/watch?v=a3cGhVBjQjw.

Quarks Science Cops (2020). Die Akte Bhakdi: So tricksen Corona-Verharmloser 
→ https://www.youtube.com/watch?v=0VwHVI6NVsQ.

Süddeutsche Zeitung (SZ) / Malte Dahlgrün (2010). [Bestseller-Autor Precht] Unglaublich → https://www.sueddeutsche.de/kultur/bestseller-autor-precht-unglaublich-1.138989.

Süddeutsche Zeitung (SZ) (2019). Wie Ärzte gesundheitliche Gefahren kleinrechnen 
→ https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/stickoxide-feinstaub-lungenarzt-koehler-1.4330327.

ZAPP / NDR (2023). Wie Julian Reichelt die Wirklichkeit verdreht – und was dahinter steckt → https://www.youtube.com/watch?v=Uay5852n_SQ&t=1s.